Dieser Artikel richtet sich an jeden, der sich Fotos anschaut und natürlich auch an alle, die selbst fotografieren – sei es mit einer Spiegelreflexkamera, einer Fachkamera oder dem iPhone. Fachlich fängt der Artikel an der Oberfläche an und bohrt sich immer mehr in die Tiefe, sodass für jeden Leser etwas dabei ist. Erfahrene Fotografen können direkt auf die zweite Seite springen, wo ich analysiere, warum Bildbearbeitung notwendig ist und warum sie dennoch so einen schlechten Ruf hat.
Links: Bild von Cézanne – wurde 2001 für 38 Mio. $ verkauft. Rechts: Bild von mir
– weniger bearbeitet als das Bild von Cézanne
Neben der Frage nach der Fotoausrüstung ist die Frage nach der Bildbearbeitung wohl die zweithäufigste, die man als Fotograf beantworten muss. Wenn diese Frage gestellt wird, müsste das Gespräch
eigentlich wie folgt ablaufen:
„Bearbeitest du deine Fotos?“
Ja, so wie jeder (!), der Fotos macht.
„Kannst du mir mal das Original zeigen?“
Nein, denn das Original gibt es lediglich in meinem Kopf. Das fertige Bild ist ein Versuch zu zeigen,
wie ich die original Szene vor Ort wahrgenommen habe.
„Wie sah denn das Foto aus, als es aus der Kamera kam?“
Was ihr hier seht ist eine Bilddatei, wie sie vom Sensor erfasst wurde bevor sie durch die Kamerasoftware in ein JPG umgewandelt wird – völlig unbearbeitet, völlig roh. Jedes Foto, was nicht so flau, grünstichig und verpixelt wie dieses Beispiel ist, ist ein durch Software bearbeitetes Foto. Entweder die Rohdaten werden durch die Kamera automatisch zu einem mittelmäßig ansehnlichen Bild verarbeitet oder man übernimmt selbst die Kontrolle darüber. Da jeder Schritt der Bearbeitung vor der Aufnahme rein manuell ist, warum sollte man dann die Nachbearbeitung der Fotos einer Automatik überlassen? Doch vorher möchte ich noch die hier grundlegende Frage beantworten:
Wenn ich etwas bearbeite, sei es Bildinformation, Holz, Metall, Nahrung, … , dann nutze ich vorhandenes Material, um eine Idee in die Wirklichkeit umzusetzen. Ich weiß also schon bevor ich anfange, wie in etwa (oder wie genau) das Endresultat aussehen soll. Natürlich kann sich die Vorstellung vom fertigen Produkt während der Bearbeitung auch ändern.
Wie Hobel, Feile und Küchenmesser ist auch die Kamera nur ein Werkzeug, der Fotograf ist nichts anderes als ein Handwerker der seine Werkzeuge nutzt, um Bilder anzufertigen. Je nach Einsatzgebiet und Kenntnisstand variieren auch Ausstattung und Umfang des Werkzeugkoffers. Es gibt schließlich auch Menschen, deren einziges Küchenwerkzeug die Mikrowelle ist – mit den entsprechenden Resultaten.
Die Frage, ob jemand seine Bilder am Rechner bearbeitet ist also wie, wenn man einen Koch fragt, ob er etwa auch Pfannen, Herd und Gewürze benutzt hat. In diesem Kontext ist auch die Frage nach dem Kamerahersteller obsolet.
Dennoch kann man nicht sagen, dass jemand, dessen Bildbearbeitung nicht über die Kontrasteinstellung an der Kompaktkamera hinausgeht, auf Mikrowellen-Fertiggericht-Level fotografiert. Denn jeder
von uns berücksichtigt vor und während einer Aufnahme (die „Bildbearbeiter“ auch danach) viele Faktoren, die das fertige Bild beeinflussen – und damit bewusst oder unbewusst Bildbearbeitung
vornimmt. Bildbearbeitung ist also all das, was das Motiv oder das Resultat so verändert, wie es der Fotograf vor Ort wahrgenommen hat oder wie er sich wünscht, dass es von seinem Publikum
erfasst wird.
Welche Techniken werden von jedem Fotografen, vom iPhone-Knipser bis zum Studiomeister, angewendet, um das Bild schon vor der Aufnahme zu bearbeiten?
Diese drei Bearbeitungsschritte sind die Basis für jedes Foto und entscheiden über Sieg oder Niederlage, Top oder Flop. Sie sind unabhängig von der Hardware und Software. Der Unterschied zwischen Knipser und Meister liegt nicht darin, wer die dickere Kamera hat, sondern wer mehr Gehirnschmalz in diese drei Punkte steckt. Alle folgenden Bearbeitungsschritte können das Foto noch aufwerten. Wenn bei diesen drei Punkten aber ein Fehler passiert, ist jede weitere Bearbeitung wie einen McDonnelds-Burger mit Safran zu würzen.
Dieses Bild vom Lake Lure in North Carolina wurde bereits zehn Minuten lang bearbeitet bevor ich auf den Auslöser drückte. So lange hat es gedauert, bis ich einen passenden Standpunkt, Brennweite und Blickwinkel gefunden hab, wo der Blick nicht durch Stromleitungen, Zäune und Telefondrähte verhangen war.
Ich konnte diese störenden Elemente sozusagen schon im Vorfeld rausretuschieren.
Es ist nicht möglich, ein Foto ohne einen der drei oben genannten Vorbereitungs-/Bearbeitungsschritte aufzunehmen. Andere Parameter werden zwar auch bei jeder Aufnahme eingestellt, meist aber von
der Automatik der Kamera. Nur die wenigsten Fotografen legen alle hier folgenden Einstellungen gezielt und bewusst fest. Bei meinen Fotos lasse ich fast immer die Belichtungszeit und meistens die
Fokusentfernung automatisch bestimmen.
Wir kennen jetzt schon acht Wege, wie wir das Bild und seine Wirkung auf Betrachter manipulieren.
Dabei haben wir noch nichts von dem gemacht, was allgemein als Bildbearbeitung verschriehen ist.
Es gibt noch weitere Bearbeitungsmöglichkeiten vor der Aufnahme, allerdings finden diese Bearbeitungen außerhalb der Kamera statt. In der Bildbearbeitungssoftware können allesamt nur von sehr versierten Anwendern bearbeitet werden. Die hier genannten Bearbeitungsmöglichkeiten bleiben von vielen Hobby-Fotografen unbeachtet – mal abgesehen von den gestellten Gruppenfotos:
Die beiden folgenden Aufnahmen zeigen, wie stark sich die bisher genannten Bearbeitungsschritte auf das Ergebnis auswirken können. Wie man sieht, wurden beide Fotos von dem gleichen Standpunkt aus aufgenommen. Durch einen anderen Aufnahmezeitpunkt, dadurch anderes Licht, und dazu noch einen anderen Bildausschnitt wirken beide Bilder sehr unterschiedlich auf den Betrachter. Wenn man nur das rechte Bild betrachtet, würde niemand (außer Dresdner) auf die Idee kommen, dass dieses Foto in einer deutschen Stadt aufgenommen wurde.
Nun endlich folgt die Bildver- und Bearbeitung am Computer. Doch auch hier ist alles nicht so einfach:
Ich habe es auf der vorhergehenden Seite
Bilder werden Bearbeitet, weil die Wahrnehmung des Menschen selektiv ist. Einige Details werden ausgeblendet, andere Details prägen sich sofort ein. Das Gesehene wird idealisiert.
Fehler der Technik:
Beugungsfehler, Brechungsfehler, Transmissionsfehler, Reflexionen (Lensflare), Signalverarbeitungsfehler, Dynamikumfang, Raster
Nicht erfassbar:
Zeiträume, Geruch, Geräusche, Plastizität, Temperatur,
Wahrnehmungsfehler des Menschen:
störende Details, stürzende Linien, Nachtfarbblindheit, Purkinje-Effekt
Bessere Wahrnehmung des Menschen:
Synästhesie, Hell-Dunkel-Adaption, selektive Wahrnehmung, Bildfeld scannen
Menschliche Faktoren:
persönliche Einstellung: nehme ich die Kamera überhaupt mit?
Gefühle, Krankheit,
Anwendungsbereiche:
Reproduktionsfotografie, Bildrekonstruktion, Multishotverfahren (Superresolution, HDR, Panorama, Focusstacking)
Analogie: Kunst, Literatur, Kochen
In der Literatur gibt es Märchen, journalistische Artikel und Fachartikel. Sie unterscheiden sich darin, wie viel Prozent des Inhalts wahr sind. Allen gemein ist jedoch, dass der Inhalt nie komplett die Wahrheit abbildet, denn der Autor bringt immer und unvermeidlich seine persönliche Note in den Text ein.
Die Märchen der Fotografie findet man auf den Titelseiten der Hochglanzmagazine.
Deutschlands meistverkauftes Märchenblatt (BILD).
Journalistische Fotos ansehen ist wie Zeitung lesen, während ein Bilderbuch oder eine fografische Internetseite wie diese mit einem Reise- und Erlebnisberichten verglichen werden können – es gibt
immer einen starken subjektiven Einfluss des Autors/Fotografen. Das literarische Gegenstück von Fotomontagen wäre ein Märchenbuch. Auf meiner Seite sind auch ein paar fotografische Märchen zu
finden.
Hat Picasso seine Bilder bearbeitet?
Bildbearbeitung:
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold
Fotos machen und Fotos nicht machen
Bilder nicht machen, bilder löschen, bilder nicht verbreiten. Außenwirkung durch selektive Medienabdeckung.
http://www.spiegel.de/einestages/bildmanipulation-falsche-fotos-vor-der-digital-aera-a-996453.html
http://www.spiegel.de/unispiegel/heft/facebook-luege-hollaendische-studentin-taeuscht-asien-reise-vor-a-998943.html
http://mashable.com/2014/09/30/russian-revolution-in-color/#share-action:eyJzIjoiZiIsImkiOiJfYmI3cmdhNDEyZjh3emw3diJ9
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rgb-compose-Alim_Khan.jpg
Filmbelichtung, Filmauswahl, Auswahl des Labors, Automatische Bildbearbeitung im Labor.
Zeitpunkt (der Aufnahme einer Aktion)
Konzeption/Planung
Ich beeinflusse wie mein Umfeld meine Fotoausflüge wahrnimmt, indem ich ganz bestimmte Fotos nicht aufnehme.
„Schon in der Anfangszeit, als der Fotograf die Belichtungszeit selbst abmaß, als in der Dunkelkammer der Entwickler penibel angemischt wurde, um bestimmte Effekte zu erzielen, da wurde manipuliert. Tatsächlich ist jedes Foto von A bis Z eine Fälschung. Ein völlig sachliches, unmanipuliertes Foto ist praktisch nicht möglich. Letzten Endes bleibt es allein eine Frage von Maß und Können.“
Edward Steichen